10117 Berlin – Gedanken aus dem Regierungsviertel #2
10117 ist die Postleitzahl für Berlin-Mitte. Dazu gehört das Regierungsviertel. Das Berliner Büro der GEMA sitzt in der Reinhardtstraße. Hier starten die 400 Meter-Interviews für unseren Marathon mit der Politik und finden viele unserer Veranstaltungen statt. Das Büro ist der Ausgangspunkt für den Austausch mit der Politik, wenn es um die Anliegen der Musikurheberinnen und -urheber geht. Wir beobachten, agieren und reagieren. Die Kolumne „10117 Berlin – Gedanken aus dem Regierungsviertel“ erscheint jeweils zum Ende einer Sitzungswoche der 19. Wahlperiode.
Historisch, einmalig, noch nie dagewesen
Hände hoch: Wer hat sich am Abend des Brexit-Votums und der Trump-Wahl vor Bekanntgabe der Ergebnisse mit dem festen Glauben ins Bett gelegt, es wird keine Überraschung geben? Erst der Schlaf, dann die News. Weil man denselben Fehler nicht dreimal machen sollte, war spätestens ab Freitag, dem 17.11.17 in 10117-Balkonien und Rest-Deutschland klar, erst die News, dann der Schlaf. Bis Sonntagnacht also No Sleep till Brooklyn ‚Jamaika’. Die Regierungsbildung in Echtzeit, Sondierung mit Foto-Finish.
Ein 60-seitiges Ergebnispapier der Sondierungsgespräche war da längst online. Sonntag sollten die Ergebnisse der gemeinsamen Marschrichtung dann öffentlich auf dem Tisch liegen, dann werde verhandelt. Pustekuchen. Kurz vor der Geisterstunde offenbarte FDP-Parteichef Christian Lindner, die Jamaika-Gespräche seien gescheitert. Keine Sondierung mehr, keine Verhandlungen.
Anfang des Jahres sagte Lindner im Interview mit dem GEMA-Magazin virtuos, dass er als Teenager musikalisch flexibel gewesen sei, von Depeche Mode bis Manowar. Glaubt man den Stimmungsberichten über die schwarz-gelb-grünen Treffen, müssen die letzten Wochen ähnlich flexibel gewesen sein. Von Strangelove über Enjoy the silence bis hin zu Master of Revenge, alles mit dabei. Vom Statement zum Jamaika-Scheitern bleibt ein Satz hängen:
„Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“
„Finden Sie das verantwortungsvoll?“, fragte eine Journalistin noch in den kollektiven Abgang. Wolfgang Kubicki: „Ja, sonst hätten wir‘s ja nicht gemacht.“ Bleibt die Frage: Ist Ausstieg wirklich besser als Kompromiss? Oder ist gefühlt falsches regieren nicht doch richtiger als richtiges nicht-regieren? Und was ist mit Verhandlung follows Sondierung (Dinge nicht auf halber Strecke beenden)? – um stadtteilgerecht gleich noch einen Anglizismus zu nutzen.
Was mach ich hier und wenn ja, wie lange?
Das Setting für die Sitzungswoche wurde am Sonntagabend um 23:50 Uhr vorgegeben. Etwas zuvor nie Dagewesenes wartete darauf, analysiert, besprochen und diskutiert zu werden. Wie beim Sport muss es Gewinner und Verlierer geben, solche, die alles gegeben haben und solche, von denen man sich mehr erwartet hat.
Die Optionen: Neuwahlen – der Bundespräsident muss zunächst mit allen Beteiligten reden -, GroKo reloaded – wie sieht das die SPD? -, Minderheitsregierung – will niemand so richtig, wenn überhaupt, dann nur temporär – oder was Neues wagen: CDU-SPD-Grüne, ohne CSU – hä???
Gespräche darüber enden mit einem Schulterzucken. „Neuwahlen um Ostern“, hört man, seien zurzeit wohl das wahrscheinlichste Szenario. Und im Bundestag wurden drei Ausschüsse eingerichtet: Hauptausschuss, Petitionsausschuss und der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung.
Währenddessen in der ADK
Parallel dazu fand in der Akademie der Künste die Jahreskonferenz der Initiative Urheberrecht statt. Zum 5. Mal in Folge. Thema: Verantwortung der Plattformen gegenüber UrheberInnen. Die Europaabgeordnete der Grünen und Kulturpolitikerin Dr. Helga Trüpel nutzte den Konferenzbesuch, um das Praktische mit dem Nützlichen zu verbinden. In Brüssel setzt sie sich seit Jahren dafür ein, dass
„die digitalen Monopole wie Google und Facebook in der EU Steuern zahlen und für urhebergeschützte Inhalte von JournalistInnen und KünstlerInnen lizensieren und damit bezahlen müssen, ohne Free linking und Grundrechte im Netz abzuschaffen.“
In Berlin machte sie einen Abstecher zu Jens Spahn MdB, um mit ihm über ihre Äußerung beim Parteitag der Grünen in Bremen zu sprechen. „Entschuldigung angenommen“, twitterte Spahn postwendend. Haken ran, gibt sowieso wichtigere Themen. Ob sich die beiden, wie es Helga Trüpel beim Verlassen der Akademie der Künste vorgeschlagen wurde, in 10117 Berlin auf Englisch unterhielten, konnte nicht geklärt werden.
Am Abend wurde es leerer in der Akademie der Künste und voller vor dem Hotel Adlon. Polizei und irgendwo ein Lautsprecher mittendrin. Niemand interessierte sich wirklich für die krächzenden Äußerungen. Der Sprecher meinte zumindest genau zu wissen, wo „die Verbrecher“ säßen. Hübsch konterkarierte er diese Aussage mit einem vagen „da drüben“. Ein sächsischer Bundestagsabgeordneter lief zum U-Bahnhof Brandenburger Tor. Kurzer Smalltalk, bevor er mit Blick Richtung Demonstration kopfschüttelnd weiterzog:
„Ich geh jetzt erstmal in den Untergrund, schönen Abend.“