3 Fragen an… Anselm Kreuzer zu KI
Welche Bedeutung hat generative Künstliche Intelligenz für Musikautorinnen und Musikautoren? Wie gehen sie damit um? Welche Chancen und welche Risiken sehen Komponistinnen und Komponisten, Textdichterinnen und Textdichter in KI? In unserer Interview-Reihe befragen wir GEMA-Mitglieder zu ihren Berührungspunkten mit und ihrer Einschätzung zu (gen) KI. In dieser Ausgabe: Filmkomponist Dr. Anselm Kreuzer, Präsident Composers Club und Vorstandsmitglied der European Composer and Songwriter Alliance.
Herr Kreuzer, wie sind Sie musikalisch tätig?
Seit dem Jahr 2000 bin ich freischaffender Komponist für Fernsehen, Film und andere audiovisuelle Medien. Neben einer Vielzahl an Titelmusiken für TV-Sendungen und dramaturgischen Filmmusiken für Fernsehserien habe etliche Titel im Bereich Production Music geschrieben und produziert – mit sehr guter internationaler Akzeptanz, zunehmend auch in Online-Medien und Streaming-Services. Seit 6 Jahren bin ich zudem Mitinhaber der unabhängigen Production Music Library „Music Sculptor“, die in Zusammenarbeit mit einer Vielzahl an spezialisierten Komponisten Musik für „Storytellers“ in TV und Online-Medien bietet. Über diese Schaffensbereiche hinaus bin ich berufspolitisch aktiv, u.A. als Präsident des Composers Club in Deutschland und als Vorstandsmitglied der European Composer and Songwriter Alliance mit Sitz in Brüssel.
Sind Sie im Rahmen Ihres musikalischen Schaffens mit KI in Berührung gekommen?
Die zunehmenden Einbindung von KI ins eigene Schaffen ist ein fließender Übergang. Als Medienkomponist liefere ich ja nicht nur musikalische Werke, sondern fertig produzierte Aufnahmen. Bei der Umsetzung kommt schon immer Technologie zum Einsatz: Sampler, virtuelle Instrumente, Editing-Funktionen wie Audio-Quantisierung, Humanizing, Pitch-Correction, dynamic EQing, … Immer mehr Tools haben sich schon vor vielen Jahren in Richtung „Lernen und Anwenden“ entwickelt. Impulsantworten in Raum-Plugins lernen von realen Räumen, um diese digital zu simulieren. EQ-Plugins lernen vom Klang anderer Tracks, um diesen zu applizieren.
Bei manchem neueren Tool weiß ich ehrlich gesagt noch nicht mal immer ganz genau, inwieweit KI bei der Entwicklung der Tools zum Einsatz gekommen ist. Ich nutze aber einige Tools, die es ohne KI nicht gäbe. Und auf unserer Music-Library-Website haben wir eine KI-gestützte Suchmaschine, über die man Musiktitel per „Prompt“ suchen kann. Die Kunden müssen dann nicht mehr mit Schlagworten oder festgelegten Such-Rastern arbeiten, um passende Musik für ihr audiovisuelles Projekt finden zu können.
Eine kritische Schwelle ist für mich der Einsatz von generativer KI für die Herstellung von kompletten Musiktiteln. Soetwas mache ich nicht. Das wäre nicht nur uninteressant und kreativ stupide, sondern auch in vielerlei Hinsicht fragwürdig, denn ich würde dabei auf die Kreativität Anderer zurückgreifen, durch deren Werke der Algorithmus trainiert wurde. Die gängigen Anbieter haben das Trainingsmaterial niemals sauber lizenziert und bieten dementsprechend auch keine wirtschaftliche Beteiligung an die Autorinnen und Autoren an. Überdies könnte nie sicher sein bzw. kein persönliches Gefühl dafür haben, ob der Output nicht auch unmittelbar die Rechte Dritter verletzt.
Jedoch bin ich beinah sicher, dass mein musikalisches Schaffen in Zukunft auch Komponenten generativer KI hier und da einbeziehen wird. Es folgt komplett dem skizzierten fließenden Übergang, wenn Tools, die ich in meiner DAW verwende, Vorschläge für eine Melodie-Fortsetzung machen (ähnlich Textergänzungsvorschlägen in Mail-Clients neuerer Betriebssysteme), die ich annehmen, modifizieren oder ablehnen kann, idealerweise auf einem ethischen Modell basierend mit sauberer Lizenzierung. Das nur um ein Beispiel zu nennen. Ich freue mich auf diese Weiterentwicklung des kreativen Prozesses.
Gleichzeitig ist mir auch völlig klar, dass KI-Services für manche Kunden genau die Musik in fertiger Form werden liefern können, die diese suchen. Da entsteht eine neue Markt-Dynamik, die es in manchen Bereichen nicht einfacher machen wird für mich, der ich mich als Komponist und nicht nur als Dienstleister verstehe. Ich glaube und hoffe aber, dass ich als Kreativer einen Mehrwert zu bieten habe, der nicht einfach durch die KI ersetzt werden kann, auch wenn die KI natürlich manche „Jobs“ schlicht übernehmen wird.
Künstliche Intelligenz – Chance oder Risiko?
Der KI-Charta der GEMA kann ich mich voll anschließen. Ich bin froh, dass die GEMA eine proaktive Rolle einnimmt und Grundsätze sehr schnell und zeitgemäß formuliert. Ohne auf alle Punkte einzugehen, möchte ich betonen, dass die Charta gut geeignet ist, ein gängiges – aber aus meiner Sicht völlig verkürztes – „Argument“ aus der KI-Wirtschaft zu entkräften. Das „Argument“ lautet, dass KI-Algorithmen nichts Anderes täten als kreative Menschen: Lernen aus den Werken Anderer und Schaffung von Neuem durch Rekonstruktion.
Zweifellos lernen Menschen von anderen Menschen, und Kultur ist ein Prozess des flüssigen und lebendigen Austauschs. Aber das „Argument“ negiert, dass der Mensch auch mit relativ wenig Input in der Lage ist, sich weiterzuentwickeln und eigene Wege zu gehen, während KI immer nur statistisch mit dem gefütterten Material arbeitet. Mehr noch: Der Mensch kann gar nicht anders, als das Gelernte durch die eigenen Filter und Vorlieben wie Beschränkungen laufen zu lassen und am Ende doch anders zu sein als ein statistisches Modell. Interessanterweise können ja aus diesem Grund KI-Algorithmen mitunter feststellen, ob ein Werk KI- oder menschengemacht ist.
Vom Menschen geschaffene Werke heben sich, wenn sie nicht völlig generisch sind, vom statistisch Wahrscheinlichen ab. Die menschliche Komponente ist der Grund, weshalb KI-Werke niemals auf die gleiche Stufe gestellt werden können wie KI-generierte Werke. Da die KI-Algorithmen ohne den Input der „gefütterten“ menschengemachten Werke wertlos wären, muss es eine Lizenzierungs- und Vergütungspflicht für die Nutzung von Werken als Trainingsmaterial geben. Anders wäre es perspektivisch nicht möglich, ein funktionierendes kreatives Ökosystem herzustellen, in dem Menschen ihren gebührenden Platz haben – und zwar nicht aus Gründen der Besitzstandswahrung, sondern weil es ein gesamtgesellschaftliches Interesse an ihrem Bestehen gibt, das über dem Partikularinteresse der Technologiewirtschaft an Kostenersparnis steht.
Eigentlich aber ist es auch im Interesse von Anbietern von KI-Services, die Grundlage für ihre eigene Wertschöpfung zu erhalten, indem sie einen gewissen Anteil an der Wertschöpfung zurückführen an diejenigen, die das Trainingsmaterial geschaffen haben. Natürlich steigt aber die KI-Wirtschaft aus Verhandlungsgründen mit einer Maximalposition ein, die da lautet „wir sind nichts schuldig und bedienen uns einfach nach Belieben“.
Die GEMA-Charta stellt sich dem entgegen, was am Ende nicht nur einen Impact auf Musikschaffende hat, sondern auf die ganze Gesellschaft: Es geht nicht nur um Vergütung kreativer Leistungen, sondern auch um den Schutz von Persönlichkeitsrechten, und dafür interessiert sich eigentlich jeder Mensch. Die Folgen von Identitätsklau oder Deep Fake sind verheerend, wie wir alle wissen, und es kann keine ernsthafte Position sein, das einfach unreguliert laufen zu lassen.
Wenn jede Branche, in der Menschen und menschliches Schaffen im Mittelpunkt stehen, ihren Anteil liefert, die den Maximalforderungen der KI-Wirtsschaft zugrundeliegenden Narrative zu entzaubern, kommen wir ein gutes Stück weiter in Richtung eines gesellschaftlichen Konsenses zum Umgang mit KI und können die faszinierenden technologischen Errungenschaften auf nachhaltiger Basis nutzen – ohne Erosion und einseitige Kapitalmaximierung bei wenigen multinational aufgestellten Technologieanbietern zu Lasten von Kreativschaffenden und letztlich fundamentalen Menschenrechten. Die GEMA leistet für die Musikbranche mit ihrer Charta einen wichtigen Beitrag.