Die Politik in der Corona-Krise – Claudia Roth MdB
Das Team der Politischen Kommunikation der GEMA hat Politikerinnen und Politiker aus Bund, Ländern und Europa nach Maßnahmen gefragt, wie Kunst und Kultur langfristig wieder eine Perspektive gegeben werden kann. Aber auch, wie Kultur ihnen persönlich hilft.
Claudia Roth MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
1. Die Absage von Veranstaltungen trifft viele Kreative wirtschaftlich besonders hart. Wie kann Kunst und Kultur langfristig wieder eine Perspektive gegeben werden?
Diese Krise macht deutlich, wie unverzichtbar Theater, Konzerte, Kinos, die Buchhandlung um die Ecke, der Besuch im Museum, der Club, oder der Auftritt der Poetry Slammerin für eine vielfältige, demokratische Gesellschaft sind. Sie alle sind unmittelbar und existenziell durch den Ausfall der Veranstaltungen und die Schließung von Kultureinrichtungen seit Mitte März betroffen. Um einen irreparablen Schaden an unserer kulturellen Infrastruktur abzuwehren, brauchen wir einen Kulturrettungsfonds des Bundes, der da ansetzt, wo bisherige Maßnahmen des Bundes oder der Länder nicht greifen und der auch der Realität von Kulturschaffenden entspricht. Expert*innen und Experten aus den jeweiligen Kulturspaten sollten Im Rahmen einer Expert*innen-Kommission eingebunden werden, um die spezifischen Rettungspakete zu erarbeiten. Wir müssen jetzt handeln, um die Existenzgrundlage für Kulturschaffende heute und in Zukunft zu sichern.
2. Welche kulturellen Inhalte haben Ihnen in den letzten Wochen Kraft gegeben?
Die meiste Kraft ziehe ich derzeit aus den allabendlichen Hauskonzerten von Igor Levit und bin ihm dankbar für das Geschenk, das er vielen Menschen damit in diesen schwierigen Zeiten macht. Jeden Abend um 19 Uhr berührt er mich mit seinem virtuosen Klavierspiel aus seinem Wohnzimmer heraus. Mich beeindruckt insgesamt, was Kulturschaffende, Künstler*innen und Künstler dieser Tage digital und ungemein kreativ auf die Beine stellen. Sie sprengen nationalistischen Kleingeist, sind solidarisch, bauen Brücken über Grenzen hinweg und zeigen gerade jetzt, wo auch Kunst und Kultur in Quarantäne geschickt werden, dass sie existentieller Bestandteil einer lebendigen Demokratie sind. All das darf aber kein dauerhafter Zustand werden, Kultur lebt nun mal vom direkten Erleben, dem Austausch und zumeist auch unmittelbarem Feedback.
3. Wie werden die aktuellen Entwicklungen Ihre zukünftige politische Arbeit verändern?
Momentan ist das politische Live-Erlebnis sehr reduziert: Begegnung, Kommunikation, Streitsituationen, Verhandlungen, die zu einer lebendigen Demokratie gehören, sind derzeit kaum möglich. Darum ist es wichtig, dass auch der direkte Austausch bald wiederhergestellt wird. Klar ist, dieser Tage geht es um den Schutz von Menschenleben, aber zugleich und ebenso um den Schutz unserer Grund- und Freiheitsrechte. Im Windschatten der Corona-Pandemie ist weltweit zu beobachten, wie es zu vermehrten Repressionen und zur Erosion von Menschen- und Freiheitsrechten kommt. Es ist wichtig zu zeigen, dass wir als starker demokratischer Staat in der Lage sind, eine Pandemie zu bekämpfen und zu überwinden, ohne auf autoritäre oder repressive Maßnahmen zurückzugreifen.
4. Home Office ist…
…wie für viele andere Menschen bestimmt auch, extrem anstrengend: Weil mich die Wand gegenüber nicht kritisiert, nicht lobt, nicht interagiert. Mir fehlt der Austausch mit Kolleg*innen und Kollegen, das persönliche Gespräch mit den unterschiedlichsten Menschen. Aber immerhin: Ich höre wieder mehr Musik, wie meine alten Scherben-Platten und lese stundenlang in meinem Brecht-Gedichtband.
Foto: J. Konrad Schmidt