Gastbeitrag Minister Peter Friedrich
EU-Urheberrecht: Chancen der Digitalisierung und angemessene Vergütung kombinieren
Die Modernisierung des europäischen Urheberrechts steht im Rahmen der EU-Strategie für einen digitalen Binnenmarkt an. Die deutschen Länder haben sich im Juli zu dem Vorhaben von EU-Digitalkommissar Oettinger positioniert. Baden-Württembergs Bundesrats- und Europaminister Peter Friedrich (SPD) plädiert für einen fairen Ausgleich zwischen Urhebern und Verbrauchern.
Kultur- und Kreativwirtschaft: Wichtiger Wirtschaftsfaktor in EU, Deutschland und den deutschen Ländern
Kunst und Kultur sind schützenswerte Güter. Darauf haben sich Europa und die EU verständigt. An dem identitätsstiftenden Faktor von Kunst und Kultur – ob in der Vergangenheit, heute oder auch in Zukunft – zweifelt keiner. Zu dieser wichtigen Eigenschaft kreativen Schaffens kommt, dass Kultur- und Kreativwirtschaft wichtige Wirtschaftsfaktoren (geworden) sind: In der EU setzt die Kultur- und Kreativwirtschaft mehr als 550 Milliarden € um und schafft rund 7.000.000 Arbeitsplätze. In Deutschland gehört die Kreativwirtschaft zu den „Top-five“-Branchen; sie ist in einem Atemzug zu nennen mit der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und der Finanzwirtschaft. Mit knapp 150 Milliarden € Umsatz tragen die knapp 1,6 Mio. Beschäftigten der Branche mit rund 2,4% zu dem gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukt bei – also zu unserem Wohlstand in Deutschland.
Baden-Württemberg ist in der Kultur- und Kreativwirtschaft im Bundesvergleich überdurchschnittlich stark: Das Umsatzwachstum der Branche betrug z.B. 2013 rund 3,3% – im Bund waren es 2,4%. Neben verschiedenen Kunst- und Musikhochschulen, haben in Baden-Württemberg einzigartige Einrichtungen gerade der Musikbranche ihre Heimat gefunden: Mit der Popakademie in Mannheim und den Jazz & Rockschulen Freiburg haben wir im Südwesten Möglichkeiten geschaffen, dass junge Musikschaffende das Rüstzeug für eine erfolgreiche Karriere in der Kreativwirtschaft bekommen. Baden-Württemberg hat aber auch in anderen Bereichen der Kreativwirtschaft einiges zu bieten: Die Medien- und Filmgesellschaft (MFG) und das „Animation Media Cluster Region Stuttgart (AMCRS) in Stuttgart sowie die Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg sind über die Grenzen Baden-Württembergs und Deutschlands bekannt in der Branche. Das Internationale Trickfilmfestival und die „FMX“ (Europas einflussreichste Konferenz für „digitales Entertainment“) verwandeln Stuttgart jährlich für ein paar Tage im Frühjahr zum weltweiten Zentrum des Animationsfilms und der VFX-Branche.
Neue Technologien: Herausforderung für Politik und Wirtschaft
Durch die rasend voranschreitende Entwicklung bei den modernen Medien haben nicht nur viele Lebensbereiche des Einzelnen grundlegende Änderungen erfahren, auch – und vor allem – hat dies massive Auswirkungen auf die Wirtschaft. Das klassische, produzierende Gewerbe ist im Wandel. Stichwort: „Industrie 4.0“. Und auch die Kreativwirtschaft steht vor neuen Herausforderungen.
Aufgabe der Politik ist es, den Rahmen zu gestalten. Dieser Rahmen muss regelmäßig überprüft und im Lichte technischer und auch gesellschaftlicher Entwicklungen angepasst werden. Heute stehen wir wieder vor einer solchen Anpassung. Der für digitale Wirtschaft und Gesellschaft zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger hat im Mai 2015 als eines der Flaggschiff-Projekte der Juncker-Kommission 2014 – 2019 eine Strategie für den digitalen Binnenmarkt für Europa vorgelegt. Ein wichtiger Aspekt der Strategie ist eine Modernisierung des Urheberrechts.
Unser Ziel: Fair für Kreativschaffende und Endnutzer – in der realen Welt und im Netz
Der Schutz des geistigen Eigentums im Netz muss den gleichen Stellenwert genießen wie der von realen Gütern.
Die deutschen Länder haben mit Beschluss des Bundesrates vom 10. Juli 2015 ihre Erwartung unterstrichen, dass die Bundesregierung gegenüber der Kommission bei der Schaffung des digitalen Binnenmarktes insbesondere die Bedeutung kreativer Inhalte sowie ihrer Urheber, Produzenten und Vermittler angemessen verdeutlicht:
- Als deutsche Länder begrüßen wir die Bestrebungen der EU-Kommission, das europäische Urheberrecht zu modernisieren. Ziel muss es sein, vermeidbare Beschränkungen der Nutzungsrechte für Verbraucher zu verringern und gleichzeitig eine faire Vergütung der Kreativschaffenden sicherzustellen.
- Insbesondere die Finanzierung des audiovisuellen Sektors beruht derzeit weitestgehend auf einem System territorialer Lizenzen. Wir erwarten von der EU-Kommission, dass die angekündigten Regelungsvorschläge dieses System nicht grundlegend verändern, bis neue, effektive Finanzierungsmodelle entwickelt wurden.
- Mit Blick auf die Mediengesetzgebung, bei der die deutschen Länder innerstaatlich alleinige Gesetzgebungskompetenz haben, muss das Ziel einer künftigen Regulierung die Herstellung eines level-playing-field zwischen Rundfunkunternehmen und audiovisuellen Internetdiensten sein, da letztere bislang in Fragen der Werberegulierung oder der Programmvielfalt nur grundlegende Bestimmungen zu beachten haben.
- Darüber hinaus begrüßen wir die Absicht der EU-Kommission, eine umfassende Untersuchung der Rolle von Plattformen und Mittlern vorzunehmen, die eine Zusammenstellung und Auswahl von Rundfunk- und Medieninhalten für die Verbraucherinnen und Verbraucher vornehmen.
Als Minister für Bundesrat und Europa habe ich den Beschluss vom 10. Juli 2015 unterstützt und für Baden-Württemberg – als wichtigem Standort der Medien- und Kreativwirtschaft – auch aktiv Anregungen eingebracht, dort wo wir sahen, dass es Nachbesserungsbedarf bei dem Entwurf des Bundesratsbeschlusses gab. Diesen sahen wir z.B. in Sachen Medienpluralismus, Schutz des Kulturgutes Film oder bei den Mitwirkungsrechten der Länder.
Auf dem Weg zu einem gerechten Umfeld um Werte und Werke zu schaffen
Das Europäische Parlament und die 28 EU-Mitgliedstaaten werden den konkreten Vorschlag zur Reform des Urheberrechts, sobald dieser von der EU-Kommission – vermutlich noch Ende 2015 – vorgelegt wird, im weiteren Gesetzgebungsverfahren diskutieren und darüber abstimmen. Die deutschen Länder werden genau beobachten, wie sich die Bundesregierung im EU-Ministerrat positionieren wird und wie weit die Forderungen der deutschen Länder darin Eingang finden.
Es ist nicht zu erwarten, dass ein Modell alle Herausforderungen des Urheberrechts in einem digitalen Umfeld lösen wird. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir heute schon verschiedene Modelle diskutieren, die ihre jeweilige Rolle in einer Gesamtlösung finden könnten.
Ziel muss es sein, den bestehenden Reformstau in Sachen Urheberrecht in Europa zu beenden. Gerade hinsichtlich der rasant fortschreitenden Digitalisierung und den damit verbundenen Herausforderungen für die öffentliche Hand sind zahlreiche Fragen insbesondere aus den Bereichen Wissenschaft und Forschung, wie der digitale Kopienversand, der Umgang mit elektronischen Leseexemplaren oder verwaisten Werken – bislang nicht zeitgemäß gelöst.
Die Kulturschaffenden brauchen ein funktionierendes Urhebervertragsrecht und ein System der Rechtsdurchsetzung im Internet, das ihnen reale Vergütungen aus digitalen Vervielfältigungen und Verkäufen ermöglicht. Hierbei spielen Wahrnehmungsorganisationen wie die GEMA eine entscheidende Rolle. Nur wenn es uns gelingt, auch die globalen neuen audiovisuellen Medienplattformen wie Google oder Facebook zu Urheberrechtsabgaben zu verpflichten, wird das sinnvolle System der kollektiven Rechtewahrnehmung auch in Zukunft eine Chance haben.
Das System der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten wird derzeit einer grundlegenden Revision unterzogen. Anlass ist die Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die kollektive Wahrnehmung von Urheber und verwandten Schutzrechten, die bis zum 10. April 2016 zu erfolgen hat. Ziel der Richtlinie ist, die Funktionsweise von Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung zu verbessern und die länderübergreifenden Lizenzierungsmöglichkeiten von Urheberrechten an Musikwerken für die Online-Nutzung zu erleichtern. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat hierzu kürzlich einen Gesetzentwurf vorgelegt. Er sieht vor, das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWahrnG), das bisher die Rechte und Pflichten sowie die Aufsicht über Verwertungsgesellschaften regelt, durch ein neues Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) zu ersetzen. Das neue Gesetz soll die Vorgaben der Richtlinie übernehmen und bewährte Regeln des deutschen Wahrnehmungsrechts, soweit möglich, beibehalten. Die Inhalte des Gesetzentwurfs werden in den kommenden Monaten näher zu diskutieren sein. Ziel der gesamten Reform des Urheberrechts muss es sein, so denke ich als Politiker wie auch als aktiver Nutzer neuer Medien, einen gerechten Ausgleich zwischen Kreativen und Nutzern herzustellen. Das muss im Sinne der Künstler und Urheber sowie im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher sein. Beide Seiten sind eng miteinander verwoben: Der kreativ Schaffende braucht das Publikum und die Menschen wollen ein qualitativ hochwertiges und breit gefächertes Angebot von Kunst und Kultur – „live“ und auch im Netz.
Als Politik werden wir dazu beitragen, dass dieser Ausgleich zu beiderseitigem Nutzen geschaffen wird.
Peter Friedrich,
Minister für Bundesrat, Europa und
internationale Angelegenheiten
des Landes Baden-Württemberg
Foto: FK/PH