Gastbeitrag Nina George
In der österreichischen Zeitung Der Standard kommentierte die Autorin Nina George die aktuelle Debatte rund um das Urheberrecht. Sie ist Gründerin der Initiative Fairer Buchmarkt und eröffnet am 26. August 2015 die Alpbacher Rechtsgespräche mit einer Performance-Lecture. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin – ja, wir haben sie gefragt – gibt es hier ihren Artikel „Das Urheberrecht muss weg“ als Gastbeitrag:
Das Urheberrecht muss weg
Die digitale Welt könnte so schön, praktisch und bequem sein ohne diese grässlichen Urheberrechte. Warum? Darum! Eine Schriftstellerin stellt sich für den STANDARD vor, eine Antiurheberrechtslobbyistin zu sein
Selber schuld, dass ich in der neunten Klasse Informatik abgewählt habe. Wäre ich dabei geblieben, säße ich jetzt vielleicht in einem der Club-Mate-erfrischten Entscheiderflure und in der Imageabteilung bei einem dieser „big player“ aus der GAFA-Connection1 Google, Apple, Facebook, Amazon. Täglich würde ich die Welt der Intermediäre2 ein bisschen leichter machen, und Leuten mit sachlich-spöttischer Stimme und den Kampfvokabeln in Digi-Neusprech erklären, warum das Urheberrecht und diese fixe Idee von “Intellectual Property” so wahnsinnig “démodé” ist: den Politikern, den Verbraucherschützern, den Bibliotheken, der Netzgemeinde und den aufgeschlossenen Journalisten. Die schauen eh gern nach „frischen” Themen, und nichts ist so frisch wie Themen, wo ein „digital”-Bapperl draufklemmt und die schönsten Buzzwords drin sind. Solche wie: künstliche Verknappung von Wissen (damit ist zum Beispiel der Buchhandel gemeint, Kopierschutz oder dass „Game of Thrones” nicht umsonst verteilt wird). Antidemokratische Informationsmonopole der Contentindustrie (alles, was Geld für Kulturprodukte haben will, pfui!). Und natürlich: Bandbreite, Data Mining und das Hipsterword Disruption. Diese Reizwörter mische ich mit emotional besetzten Begriffen wie etwa Transparenz oder Teilhabe. Auch wenn damit gemeint ist: „Ich will das Teil haben.”
Mit Neusprech ins Neuland
Die meisten Onlinejournalisten haben eh die Schnauze voll von diesen Jammer-Mimimis aus der Content-Mafia und dem Urheberrechtsextremistenlager, die sich immer so aufregen. Also komm ich daher, smart, empathiefrei, BÄM!-Shirt, Nabelschnur zum Twitterkanal, mitten aus der Schwarmintelligenz, und füttere sie mit Schleierwölkchen aus digitalem Neusprech, damit sie mir und meinem sexy innovativen Unternehmen und vor allem den Venture-Kapitalisten im Hintergrund helfen, noch ein bisschen mehr Macht, Geld und Daten zu erhalten. Alles dank des „Contents”. Völliges Buzzword aus dem Bullshitbingopalast, aber gut: zieht bestens, alle in Digitalien wollen „Content” haben, keiner will ihn machen, weil: ist zu teuer. So ein Content, ob Buch oder Film oder Song oder Foto, wenn das richtig Hot-Shit sein soll, müssen Profis ran. Remix und Plagiat? Billiger, ja, aber was dabei rauskommt, das bringt’s nicht. Und „User Generated Content” (UGC)? Wikipedia ist das Mothership aller UGC, das wird sich hüten, jemanden an sich vorbeizulassen.
So ein schöner Shitstorm ersetzt komplett die Faktenlage
Grundsätzlich brauchen wir Plattformkapitalisten3 UGC eh woanders. Rezensionen etwa, über Bücher, Surfboards, Smartphones. Rezis kosten in der Herstellung nix, man hat keine Scherereien mit Rechteverhandlungen, und sie bringen enorme Klickzahlen und Meinungshoheiten. Oder Selfpublishing! Die Autoren machen die Arbeit, treten 30 Prozent für die Erhaltung eines Informationsmonopols – Pardon, einer wettbewerbsfähigen Distributionsstruktur ab –, und bäm! Auch der gepflegte User Generated Shitstorm ist die perfekte Konvertierung von „Nutzer-Inhalt” (aka: Kommentare und Postings) in Urheber- und Rechte-Bashing. Neulich, das Drama um die Panoramafreiheit, mit der praktischerweise gleich das ätzende Urheberrecht mit zu desavouieren war: Herrlich! Oder Acta, was war das für ein Reizwort! Da wusste jeder was zu twittern, Acta würde den Teenagern das WLAN abstellen und Kochrezepteaustausch verbieten und den User durchleuchten. Auch wenn sich die meisten aus den falschen Gründen aufgeregt haben und Facebook und Google jetzt schon besser informiert sind, als es die NSA je ohne ihre freundliche Mithilfe wäre.
Ist die Merde am Kochen, rührt auch die wahrste Faktenlage nichts mehr um.
Ob Geoblocking, E-Lending oder Katzenvideos: Solche Empörungswellen, die zwar nix mit dem Urheberrecht zu schaffen haben, es aber ziemlich dumm dastehen lassen, sind Sternstunden für Intermediäre. Die mehr als zuvor von einem schmerzhaften „Transfer of Value”4 profitieren. Schmerzhaft für die Contentsklaven, natürlich. Nicht für uns. Wir nutzen, was die produziert haben, und zahlen dafür nix. Und das darf ruhig so bleiben! Von irgendwas müssen wir ja unsere 30-Millionen-Dollar-Grundstücke bezahlen.
Content? Viel zu teuer.
Zurück zum Content. Seit wir den so nennen und nicht mehr „schöpferische Leistung” oder „geistiges Eigentum” oder gar „Kunst, Kultur, Texte, Arbeit”, lässt sich alles viel besser argumentieren. Das ist alles jetzt Information. Und, hey!, wer kann schon gegen breite Verbreitung von Information sein? Das Urheberrecht und Author’s Right nennen wir lässig Copyright, auch wenn diese beiden Rechtssysteme sowas von nada miteinander zu tun haben. War ein genialer Schachzug, das Recht eines Menschen metamäßig auf Recht zu kopieren umzuetikettieren.
So macht es Spaß, diesen Content zu sammeln, zu verwalten, zu verteilen, die erhobenen Datensätze auszulesen und an allerlei interessante Werbepartner zu verticken. Und die Contentmacher – Content-Sklave habe ich nicht bei dem Neusprech-Beauftragten durchbekommen –, also die Contentmacher setzen wir alle paar Jahre mit Rabattforderungen unter Druck. Oder wir ignorieren ihre Rechte! Das geht zumindest in den USA immer besser, “Fair Use” sei Dank. Abends lache ich mich dann kaputt, wie gut das alles funktioniert. Dass die da draußen alle nicht merken, wie sie ihre Persönlichkeitsrechte opfern wollen, nur weil sie denken: Oh! Urheberrecht! Das ist doch das mit dem Kriminalisieren naiver Zwölfjähriger, den Abmahnungen von Omis und der fiesen Gema gegen die Kindergärten! Sie denken nicht: Oh, das Urheberrecht schützt meine Daten, meine Selfies, mein Tagebuch und meine Urlaubsbilder. Und meine Meinung. Oder hilft verfolgten Autoren. Oder … ach, ich hör besser auf, nachher meinen Sie noch, das Urheberrecht sei doch ganz prima.
Mit einem Streich 327 Millionen Leute aus der Kriminalität holen: Das geht!
Sie glauben nicht, was man für einen Ärger damit hat, allein eine Million Löschanträge für illegale Links täglich! Es wär doch wirklich besser, wenn dieses Urheberrecht weg wäre! Ja, ganz weg! Nicht nur hier und da mal eine mandatorische Schranke oder einen klitzekleinen Zusatz wie die unbegrenzte Privatkopie. Das sage ich ja auch immer den goldigen Netzpolitikern, denen die Sorge um ihnen fremder, irgendwie virtueller Personen (vor allem Berufs-Künstschler) so herrlich schnuppe ist. Die füttern lieber das Internet, als sei es ihr Tamagotchi, und ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse enden bei Apple und ‘n Ei. Die denken, Flatratehonorärchen im 0,06-Cent-Bereich und Likielikie-Klicks würden die weltweite Kultur finanzieren! Und Künstler leben von Applaus und Youtube! Und Urheberrecht stört Innovation. Ach, diese Mär sollte sich noch mehr rumsprechen.
Zurück zur unbegrenzten Privatkopie. So würden auf einen Schlag die rund 600 aktiven, dank unversteuerter Werbeeinnahmen bestens florierenden Piraterieportale aus der Schmuddelecke der Bit-Torrent-Netze geholt. Das wären dann alles innovative Unternehmen, und da die meisten eh auf europäischem Grund wirken, wäre Europa auf einen Schlag ganz weit vorn! Dann gründet man noch ein paar Firmen auf den Seychellen, die die Werbung abrechnen, damit man auch dieses völlige outdated System Namens „Steuern” gleich ebenfalls disrupted.
Kümmern wir uns also endlich um das Entkriminalisieren der rund 327 Millionen Erdenbürger, die sich dazu bekennen, sich den Content über Gratisquellen – diese Urheberrechtsextremisten nennen das Piraterie – zu besorgen. Das sind rund 26,3 Prozent aller Internetnutzer. Mensch, das wäre eine Entkriminalisierungsrate von 26,3 Prozent! So erfolgreich war noch kein Innenminister, das sollte doch ein Anreiz sein!
Bisher ist Piraterie quasi Notwehr. Das sage ich den Verbraucherschützern auch, die den „kritischen” Konsumenten vertreten, der total kritisch findet, wie teuer das alles ist, acht Euro für ein E-Buch oder 99 Cent für ein Song! Hallo! Die Leute müssen teure Smartphones kaufen, die haben echt nicht noch Penunse für die Information.
Ich könnte sagen: Hey, hey, es gibt massenhafte legale, super kleinpreisige Angebote und ohne DRM und so. Aber einen Scheiß werde ich. Wer’s nicht wissen will, will nicht. Was so ein Geiz-ist-geil-Fan ist, der plagt sich auch nicht mit Gedanken über Kaffeebauern, Amazonlagerarbeiter oder Contentsklaven. Bis Urheberrecht das neue Bio ist, dürften also noch ein paar Tofuhühnchen sterben.
Nina George, 25. August 2015
1 GAFA-Connection: Das Cybermediär-Quartett Google, Apple, Facebook und Amazon. GAFA erwirtschaftet zusammen zum Beispiel mehr als die 40 (!) höchstdotierten französischen Firmen am CAC40-Aktienindex und mehr, als das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz im Jahr beträgt.
2 Intermediäre: Vermittler, Verteiler, zum Beispiel Suchmaschinen, Portale, Auktionsseiten wie Ebay, Social-Media-Netzwerke und andere Foren/Communitys, Shoppingportale.
3 Plattformkapitalismus. “Vergleicht man die Marktkapitalisierung von Google oder Facebook mit derjenigen von Entertainmentfirmen oder Zeitungsverlagen, sieht man eine Parallele zu der Entwertung von Inhalten zugunsten der Aufwertung skalierbarer Infrastrukturen der Host-Provider. Ohne in die Produktion von Inhalten zu investieren, haben Plattformen wie Youtube oder Facebook von der sogenannten ‘Sharing’- bzw. ‘Sofort und umsonst’-Kultur profitiert.” (Andrés Heyn, Rechtsanwalt, Hamburg, in “Haters gonna Hate”)
4 Wirtschaftlich profitieren Plattformbetreiber an der Wertausschöpfung digitaler Kulturwerke, auch weil sie sich unter Berufung auf Haftungsprivilegierungen der Aufgabe entziehen, Urheber gerecht zu vergüten. Die Europäische Kommission hat diese Verschiebung in ihrer Analyse des digitalen Binnenmarkts als “Transfer of Value” beschrieben: als Wertetransfer vom Kreativschaffenden zum Plattformbetreiber.