Kulturstaatsministerin Claudia Roth MdB im Interview

Rio Reiser zu jedem Anlass

Kulturstaatsministerin Claudia Roth MdB (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beantwortet im Interview für das Mitglieder-Magazin der GEMA “virtuos”, was für eine Rolle Musik in ihrem Leben spielt und welche Schwerpunkte sie in ihrem Amt setzen will.

Frau Roth, Teenagerjahre sind für den Musikgeschmack oft Zeiten der Entdeckung und nicht selten prägend. Ihre fallen in den Übergang vom Ende der 60er zum Anfang der 70er mit großen Namen in Rock und Pop. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten selbst gekauften Tonträger, Ihr erstes Konzert?

An meine erste Single kann ich mich noch sehr gut erinnern, das war „Lazy Sunday Afternoon“ von den Small Faces. Beim ersten Album bin ich mir nicht mehr sicher, entweder habe ich „Abbey Road“ von den Beatles oder „Their Satanic Majesties Request“ von den Stones gekauft. Auch die Doors, Jim Morrison und Janis Joplin habe ich als Teenagerin viel gehört. Und natürlich Ton Steine Scherben – ihre Musik war ja der Soundtrack einer ganzen Generation.

Mein erstes Pop-Konzert war die deutsche Erstaufführung von „Hair“ 1968 in München. Das Musical hatte damals auch in Deutschland für Furore gesorgt. Die Münchner Lokalpolitik wollte das Stück verbieten, vor allem wegen einer etwa 20 Sekunden dauernden Nacktszene. Schließlich kam es zu einem Kompromiss: die Darstellerinnen und Darsteller wälzten sich unter einer Decke, auf der groß „Zensiert!“ zu lesen war. Diese ganze Aufregung war jedenfalls eine gute Werbung, „Hair“ wurde auch in Deutschland zu einem Publikumsmagneten. Mitgespielt hat übrigens auch Donna Summer, die in den deutschen „Hair“-Aufführungen ihre internationale Laufbahn begonnen hat. Und mein bodenlanger Blumenmantel war spektakulär.

Kunst und Kultur und insbesondere Musik zählen zu Ihren Leidenschaften, denen Sie über Ihr jeweiliges politisches Amt hinaus stets Ihre uneingeschränkte Fürsprache zukommen ließen. Wann und wie kommt Musik in Ihrem Alltag vor?

Musik ist in meinem Alltag sehr wichtig. Ich höre alles, was mein Herz berührt und zu meiner Stimmung passt – von Klassik bis hin zu Rock, Pop und Rap. Am liebsten höre und erlebe ich Musik natürlich live: in der Oper und in der Philharmonie, im Club, im Konzert und auf Festivals. Der Lockdown war auch deshalb für mich so schwierig, weil ich gerade Live-Musik als Gemeinschaftserlebnis so sehr vermisst habe. Meinem Freund Igor Levit werde ich ewig dafür dankbar sein, dass er mir mit seinen Hauskonzerten durch diese Zeit geholfen hat. Er hat so viele Menschen mit seiner Musik beschenkt und gezeigt, wie vielfältig und kreativ wir als Gesellschaft füreinander einstehen können.

Auch für meine politische Arbeit hat Musik immer eine Rolle gespielt. Wenn ich zum Beispiel eine wichtige Rede halten soll, dann überlege ich mir vorher: Was ist der Soundtrack für diese Rede? Das erstaunliche dabei ist, dass es wirklich zu jedem Anlass auch einen passenden Song von Rio Reiser gibt. So schließt sich dann für mich der Kreis.

Durch die Corona-Pandemie ist die Zusammenarbeit der BKM mit den Kulturverbänden der verschiedensten Branchen, etwa bei der Umsetzung von NEUSTART KULTUR, sehr viel enger geworden. Die Verbände kennen die Bedürfnisse und Besonderheiten der jeweiligen Sektionen sehr gut. Wollen Sie dieses Vertrauensverhältnis zwischen Politik und Zivilgesellschaft zukünftig ausbauen und wenn ja, wie?

Die Verbände waren schon vor der Pandemie wichtige Partner für die Kulturpolitik. Seit der Corona-Krise hat sich dieser Austausch stark intensiviert. Auch bei den Corona-Hilfsprogrammen wie Neustart Kultur haben wir sehr eng mit den Verbänden und anderen Partnern aus der Zivilgesellschaft zusammengearbeitet, um herauszufinden, wo die größten Probleme der jeweiligen Branche liegen und wie der Bund am besten helfen kann. Die branchenspezifischen Hilfsprogramme wurden dann meistens auch direkt von den Partnern umgesetzt. Auch die GEMA hat den Bund mit dem Programm für Musikaufführungsstätten, Clubs und Festivals und dem Stipendienprogramm der Verwertungsgesellschaften (gemeinsam mit GVL, VG Bild-Kunst und VG Wort) tatkräftig unterstützt.

Dieser enge Schulterschluss hat sehr gut funktioniert, und ich bin allen Partnern für ihre Unterstützung überaus dankbar. Auf das Vertrauensverhältnis zwischen Kulturpolitik und Zivilgesellschaft sollten wir in Zukunft noch stärker aufbauen. Denn die großen Herausforderungen der Gegenwart können wir nur gemeinsam meistern – ob das der Klimaschutz oder die Corona-Krise ist, deren Folgen uns als Gesellschaft noch lange beschäftigen werden. Auch deshalb brauchen wir in der Kulturpolitik ein neues Miteinander von Bund und Ländern. Ich will in Zukunft noch besser mit den Kommunen und den Ländern zusammenarbeiten, deshalb wollen wir ein Plenum der Kultur einberufen. Dabei geht es um einen regelmäßigen, strukturierten Austausch von Bund, Ländern, Kommunen und Kulturszene. Auch dabei werden die Verbände eine wichtige Rolle spielen.

Sie haben es bereits mehrfach hervorgehoben, Ihre Vorgängerin im Amt, Prof. Monika Grütters hat die politische Bedeutung der Kultur signifikant gestärkt. Welche Schwerpunkte stehen auf Ihrer kultur- und medienpolitischen Agenda für die kommenden vier Jahre?

Für mich kommt es jetzt vor allem darauf an, dass durch die Pandemie keine Kultur verloren geht. Ich werde daher alles dafür tun, dass weiterhin kulturgerechte Maßnahmen ergriffen werden. Und für mich ist Kultur nicht nur die Oper und die Philharmonie, sondern auch der Plattenladen und der Club. Corona hat uns jedenfalls auch sehr deutlich vor Augen geführt, dass wir die soziale Lage der Soloselbständigen verbessern müssen.

Ein weiterer Schwerpunkt meiner Arbeit wird die Erinnerungskultur sein. Mir geht es um Erinnern in die Zukunft, um die Stärkung unserer Demokratie. In Zeiten von Fackelaufmärschen vor den Häusern von Politikerinnen und Politikern ist Erinnerungskultur für unsere Gesellschaft wichtiger denn je. Denn durch das Wissen über unsere Vergangenheit können wir für unsere Gegenwart lernen und gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit einstehen.

In diesem Zusammenhang ist mir auch wichtig, die Erinnerungskultur um eine migrantische Perspektive und um das Thema Kolonialismus zu erweitern. Wir brauchen eine echte Dekolonialisierung unseres Denkens – und diesen Prozess müssen auch unsere Museen aktiv vorantreiben.

Ein weiteres Herzensanliegen ist für mich das Thema Diversität. Hier gibt es im Kulturbereich noch deutlich Luft nach oben. Denn in Hinblick auf das Personal und das Publikum muss man leider feststellen, dass wir in sehr vielen Kultureinrichtungen eben kein Abbild unserer vielfältigen Gesellschaft finden.

Auch bei der Gleichberechtigung von Frauen ist der Kulturbetrieb noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Wenn wir uns Jurys und Leitungspositionen ansehen, dann sind dort 51% unserer Bevölkerung im Kulturbereich einfach nicht angemessen repräsentiert. Und der Gender Pay Gap ist in der Kultur sogar höher als in manch anderen Wirtschaftszweigen. Zudem haben wir in Kultur und Medien auch ein massives Sexismus-Problem, das mit den häufig verkrusteten Machtstrukturen zusammenhängt. Es gibt hier also ganz klar Nachholbedarf.

Nicht zuletzt wird der Klimaschutz ein sehr wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit sein. Die neue Regierung will eine Klimaregierung sein – und das betrifft alle Ressorts, auch die Kultur. Schon jetzt zeigen viele Kultureinrichtungen und Akteure mit innovativen Ideen, wie eine nachhaltige Kulturproduktion aussehen kann – diese Arbeit möchte ich unterstützen und weiterentwickeln. Der Klimaschutz ist die Überlebensfrage der Menschheit. Gerade die Kultur muss hier mit gutem Beispiel vorangehen. Deswegen schaffen wir einen green culture desk!

 


 

Erschienen in “virtuos”, Das Mitglieder-Magazin der GEMA I/2022

Interview: Annette Therese Jäger

 

 

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