Bundesjustizminister bei der GEMA

Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas (SPD) sprach bei der GEMA-Hauptversammlung am 27.04.2016 in Berlin eine Keynote:

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Dr. Heker,
Sehr geehrter Herr Prof. Schneider,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

es stimmt, was Herr Dr. Heker gerade gesagt hat. In den vergangenen Jahren ist vielfach beklagt worden, dass es seit 2002 keine Reformbemühungen mehr gab. Allerdings: Wenn man dann etwas vorlegt, dann sollte man nicht dem Trugschluss unterliegen, die Freude würde lang anhalten. Denn dann werden schnell die Interessenkonflikte deutlich, die es hier gibt. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie im Urheberrecht sehr engagiert ausgetragen werden.

Heute ist das aber eine Punktlandung! Heute tagt die Mitgliederversammlung der GEMA, und just heute früh hat der Rechts- und Verbraucherausschuss des Deutschen Bundestages das neue Recht der Verwertungsgesellschaften beraten. Morgen soll das Gesetz dann vom Plenum des Parlaments beschlossen werden, so dass es dann in Kürze auch in Kraft treten kann.

Das neue Gesetz ist für die Arbeit der GEMA und auch aller anderen Verwertungsgesellschaften ein wichtiger Schritt. Es löst das alte Urheberrechtswahrnehmungsgesetz von 1965 ab, und es setzt die Vorgaben aus der EU-Richtlinie über die kollektive Rechtewahrnehmung von 2014 um.

So entsteht – das ist etwas Bemerkenswertes – zum ersten Mal ein EU-weit einheitlicher Rechtsrahmen für Verwertungsgesellschaften. Ich bin überzeugt, das ist ganz im Sinne der GEMA, die ja sowohl die Reform in Europa als auch die deutsche Umsetzung aktiv mitbegleitet hat. Ich weiß: Nicht alle Wünsche sind in Erfüllung gegangen. Aber ich denke, dass die Ergebnisse eine gute Grundlage für die weitere Arbeit der GEMA sind.

Gerade für die GEMA werden europaweit gleiche Wettbewerbsbedingungen neue Möglichkeiten und Chancen eröffnen. Sie kann in der gesamten EU grenzüberschreitend tätig werden. Und ich glaube, dass Sie, meine Damen und Herren, dafür hervorragend aufgestellt sind. Das beweist der neue „Hub“ für Musikrechte, den die GEMA in London gemeinsam mit Partnern aus Großbritannien und Schweden gegründet hat. Ich finde, auch das ist ein weiterer, wichtiger Schritt für mehr paneuropäische Wahrnehmung von Urheberrechten.

Gleichzeitig behält das neue Recht etliche bewährte Strukturen des bisherigen Rechts bei. Das liegt auch daran, dass das deutsche Gesetz zumindest teilweise Vorbild für die europäische Regulierung war. So wird es künftig eben nicht nur in Deutschland eine Aufsichtsbehörde geben, sondern in jedem Mitgliedstaat der EU. Auch das ist ein großer Fortschritt, denn auch das schafft gleiche Bedingungen für Verwertungsgesellschaften – die GEMA, kennt das ja schon seit 1965.

Meine Damen und Herren,
mit dem Gesetz haben wir auch die Mitbestimmung in den Verwertungsgesellschaften gestärkt. Verwertungsgesellschaften sind ja nicht aus Zufall seit über 100 Jahren erfolgreich. Sie sind auf Initiative derjenigen entstanden, die sich schon damals nicht mit einer Umsonst-Kultur abfinden wollten. Heute würde man vielleicht sagen, dass der Zuckerwasserprozess, mit dem Ernest Bourget im Jahr 1847 eine Vergütung dafür erstritt, dass seine Musik in einem Café gespielt wurde, der Beginn einer grass-root-Bewegung für Urheber war.
Umgekehrt bedeutet das: Verwertungsgesellschaften sind kein Selbstzweck, sie sind für die Mitglieder und die Berechtigten da, die ihnen einen wesentlichen Teil ihres Vermögens anvertrauen: nämlich die Wahrnehmung ihrer Urheberrechte.

Deshalb wollen wir mit unserem Gesetz die Rechte von Mitgliedern und Berechtigten stärken. Wir tun das, indem wir die Stimmabgabe erleichtern und ihnen mehr Planungssicherheit geben und den Zeitpunkt der Ausschüttungen gesetzlich festlegen.

Meine Damen und Herren,
wie Sie wissen, ist das Gesetz zu den Verwertungsgesellschaften nicht unser einziges Projekt. Vor kurzem erst hat die Bundesregierung das neue Urhebervertragsrecht auf den Weg gebracht. Wir schaffen damit die Voraussetzungen, damit Verwerter und Kreative gleichberechtigt miteinander verhandeln können. Das war in der Vergangenheit nicht überall der Fall. Zwar gibt es bereits seit 2002 einen gesetzlichen Anspruch auf eine „angemessene“ Vergütung. Aber viel zu oft hatte das zumindest in einigen Bereichen mit der tatsächlichen Vergütung außerordentlich wenig zu tun.

Preisdruck, Total-Buyout und Blacklisting gehörten in den letzten Jahren zum Alltag nicht weniger Künstlerinnen und Künstler. Wenn es darum geht, gute Bedingungen in ihren Verträgen auszuhandeln, dann sind Kreative oft in einer schlechten Position: Künstler sind eben keine Unternehmer oder Anwälte, die in Verhandlungsverfahren geschult sind. Und kreatives Schaffen ist für sie ja nicht bloß ein Beruf, sondern viele empfinden das auch als Berufung. Da kann man oft nur schlecht Druck ausüben und den eigenen Marktwert in die Höhe treiben.

Die schlechte Verhandlungssituation vieler Kreativer spiegelt sich nicht wider in der Bedeutung, die ihre Werke haben. Denn eine lebendige Kulturszene ist nicht nur elementar, wenn wir uns weiter als Kulturnation begreifen wollen. Sie ist auch ein Wirtschaftsfaktor: Die Attraktivität zum Beispiel einer europäischen Metropole im Städteranking hängt heute stark von der Musik ab, die man dort in den Clubs und Konzerten hören kann. Längst konkurrieren so unterschiedliche Städte wie Oslo, Mannheim, Liverpool und Luxemburg durch die Förderung von Festivals, Stipendien oder neue Konzerthäuser um den Titel der Musikstadt Europas. Auch Hamburg ist mit dem Reeperbahn-Festival und der Elbphilharmonie vorne dabei, darüber hat ja schon Olaf Scholz gesprochen (und er hat sicher nicht nur über den Baufortschritt geredet).

Meine Damen und Herren,
wie wichtig heute starke Verwertungsgesellschaften und eine kollektive Interessenwahrnehmung sind, das hat letztes Jahr eine kleine Meldung aus den USA gezeigt: Der Hit „happy“ von Pharell Williams wurde 43 Millionen Mal im Internet gestreamt. Die Tantiemen, die er dafür von einem großen Musikverlag bekommen hat, betrugen ganze 2700 Dollar.

In der Post-Napster-Ära ist offenbar selbst ein Riesenhit, zu dem die halbe Welt tanzt, kein Garant mehr für Rieseneinnahmen. Das zeigt in etwa die große Herausforderung, vor der wir in der digitalen Welt stehen. Es geht darum, dass nicht immer nur die, die kulturelle Werte schaffen, das Nachsehen haben.

Wer es sich leisten kann, der verweigert sich wie etwa Adele den Streaming-Diensten und kehrt zu klassischen Vertriebswegen zurück: Vinyl oder CD; selbst MP3 ist ja von gestern. Das wiederum setzt die Streaming-Anbieter unter Druck, ihr Angebot nicht nur für die Nutzer, sondern auch für die Kreative attraktiver zu machen. So entstehen möglicherweise schon bald neue Geschäftsmodelle – und zwar solche, die die Lage der Künstlerinnen und Künstler verbessern.

Die Digitalisierung käme dann den Kreativen zugute. Sie hat ja auch bisher manches verbessert – das wird nur oft vergessen. Deswegen ist es gut, dass Annette Humpe uns neulich in einem Interview daran erinnert hat. In den 80ern, als sie mit ihren „Blaue Augen“ loslegte, kostete ein einziger Studiotag etwa 3.000 Euro. Und deswegen – so sagte Humpe – „musste man eine Plattenfirma haben, die 100.000 Euro vorstreckte, damit man das Album machen konnte. Wenn man der Plattenfirma nicht gefiel bei einem Liveauftritt und die gesagt haben: “Mit dir machen wir keine Platte”, tja, dann gab’s eben keine.”

Meine Damen und Herren,
wer wie Annette Humpe die Vinyl-Ära nicht verklärt, der kann vielleicht auch das Zeitalter von Spotify bei all den Problemen, die es zurzeit auch gibt, etwas positiver sehen.

Denn Tatsache ist ja auch: Jeder Musiker kann heute mit digitaler Technik von seiner Küche aus eine neue Platte herstellen und vertreiben.

Ich finde, das zeigt: Der Umbruch, den wir zurzeit erleben, ist riesig. Er hat Chancen, er hat aber auch viele Risiken. Die Entwicklung ist längst noch nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Die Dynamik ist nach wie vor sehr groß. Es entwickeln sich ständig neue Geschäftsmodelle. Deswegen ist es richtig, dass wir uns in Deutschland, genau wie auch in Brüssel die EU-Kommission sich entschieden haben, hier Schritt für Schritt voranzugehen.

Die große Frage ist: Was bedeutet das für die Zukunft des Urheberrechts und die Zukunft der Verwertungsgesellschaften?

Erst gestern haben wir bei uns im Ministerium eine Podiumsdiskussion veranstaltet, bei der wir der Frage nachgegangen sind, wie sich die Digitalisierung auf das Urheberrecht auswirkt. Außerdem haben wir diese Woche zwei Studien veröffentlicht, die sich mit diesem Thema befassen.

Ich bin davon überzeugt, dass Verwertungsgesellschaften auch künftig eine wichtige Rolle spielen werden. Die Digitalisierung führt zu neuen Formen des Medienkonsums, neuen Möglichkeiten für die Werkverbreitung und neuen Geschäftsmodellen für die Vermarktung digitaler Inhalte. Die Vertriebswege vervielfachen sich, aber die Kontrolle der Werknutzung wird für den einzelnen Rechtsinhaber noch schwieriger als das in der “analogen” Welt ohnehin schon der Fall gewesen ist. Es kann also sehr gut sein, dass Verwertungsgesellschaften wichtiger werden als sie es nach meiner Auffassung ohnehin schon ist.

Es lohnt sich in jedem Fall, dass wir alle in unseren unterschiedlichen Verantwortungsbereichen gemeinsam darüber nachdenken, wie wir die Produktion, die Vermarktung und – nicht zuletzt – die faire Vergütung urheberrechtlicher Werke in Zukunft organisieren können.

Mit welcher Strategie werden Kreative am besten an ihr Geld kommen? Was sind faire Geschäftsmodelle der Zukunft? Müssen wir das geltende Recht einfach noch strenger durchsetzen, auch wenn das für die Nutzer lästige Abmahnungen bedeutet? Oder gelingt es, den Nutzerinnen und Nutzern attraktive legale Angebote zu machen und illegalen Anbietern damit das Wasser abzugraben, wie das im Musikbereich ja schon der Fall ist? Oder sind ganz andere alternative Vergütungsmodelle sinnvoll?

Meine Damen und Herren,
welchen Weg wir hier gehen werden, das ist noch zu entscheiden. Deshalb müssen wir jetzt aber miteinander über die richtige Richtung reden. Mancher Vorschlag mag da als arge Zukunftsmusik erscheinen.

Ich erinnere mich, dass die Diskussionen bislang sehr kontrovers gewesen sind. Aber auch wenn wir kontrovers diskutieren – die Alternative, nichts zu tun, wäre jedenfalls verkehrt, insbesondere, wenn es um eine angemessene Vergütung für die Urheberinnen und Urheber geht.

Heute ist das Urheberrecht in Bewegung – in Berlin in Brüssel – und wir werden weiter im Gespräch bleiben über die nächsten Schritte.Denn wir wollen drei große Ziele erreichen:

  • Einen breiten Zugang zu Kunst und Kultur für möglichst vielen Menschen,
  • attraktive Geschäftsmodelle für die Werkmittler
  • und nicht zuletzt eine faire Vergütung für alle Kreativen, die mit ihrer Arbeit die Grundlagen schaffen für Kunst und Kultur in diesem Land.

Es geht eben nicht um irgendein Wirtschaftsgut. Es geht darum, wie wir als Kulturnation auch im digitalen Zeitalter mit kulturellen Werten umgehen.

http://www.bmjv.de/SharedDocs/Reden/DE/2016/04272016_Hauptversammlung_GEMA.html

 

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