Charta der digitalen Grundrechte

Diskussionsbeitrag zur „Charta der digitalen Grundrechte“

Bereits letztes Jahr forderte Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, in der ZEIT eine Charta der digitalen Grundrechte. Diese sei notwendig, da Wirtschaft und Gesellschaft durch die Digitalisierung in einem Ausmaß verändert würden, welches allenfalls mit der industriellen Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts vergleichbar sei: „Gemeint ist, dass sich zunehmend Ideen durchsetzen, bei denen nicht nur das Produkt selbst, sondern ganze Wertschöpfungsketten und Standards verändert werden.“ Zukünftig werde jede netzpolitische Frage eine gesellschaftspolitische sein. Es gehe deshalb auch immer um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen.

Charta der digitalen Grundrechte als Auftakt einer breiten gesellschaftlichen Diskussion

Nun liegt das vorläufige Ergebnis dieses Projekts vor: In den vergangenen 14 Monaten hat eine Gruppe von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft den Entwurf einer Charta der digitalen Grundrechte ausgearbeitet. Der Vorschlag versteht sich ausdrücklich als Auftakt einer breit angelegten „Debatte über die Zukunft der digitalen Gesellschaft und wie man sie politisch gestalten kann“. Auf www.digitalcharta.eu können die einzelnen Punkte kommentiert werden.

Der Begriff „Urheber“ kommt in der neuen Digitalcharta nicht vor

Bereits vor einigen Monaten hatte sich Bundesjustizminister Heiko Maas mit einem eigenen Vorschlag in die Diskussion eingebracht. Dort hieß es unter anderem zu Artikel 8: „Noch nie hatten so viele Menschen zu so viel Wissen und Kultur so einfach Zugang wie heute. […] Zugleich ist geistiges Eigentum in der digitalen Welt besonders verletzlich geworden.“ Mit dieser Feststellung griff der Minister ein wichtiges Anliegen auf, das viele Urheberinnen und Urheber seit Jahren bewegt. Daher ist es bedauerlich, dass der Begriff des „Urhebers“ in dem nun vorgelegten Entwurf einer Charta der digitalen Grundrechte bisher überhaupt keine Erwähnung findet.

Beitrag der GEMA zur aktuellen Diskussion

Als Teil der Musikwirtschaft gestaltet die GEMA den technologischen und kulturellen Wandel in der Musiknutzung mit. Eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Herausforderungen der Digitalisierung ist wichtig und notwendig. Deshalb haben wir die jüngsten Veröffentlichungen zum Anlass genommen, uns zu einigen der für Urheberinnen und Urheber zentralen Aspekte Gedanken zu machen. Entstanden ist ein eigener Beitrag mit neun Punkten, mit dem wir uns an der weiteren Diskussion über Grundsätze für eine gelingende Digitalisierung beteiligen wollen:

 

Respekt für die Rechte der Urheber in der digitalen Welt

 

1. Geistiges Eigentum wird geschützt.

Rechte, die jeder Bürger im analogen Bereich selbstverständlich genießt, müssen ebenso im Digitalen gelten und durchgesetzt werden können. Dies gilt in besonderem Maße für Eigentumsrechte, die die Freiheit und Unabhängigkeit des Einzelnen vor staatlicher Willkür und Ausbeutung durch kommerzielle Interessen Dritter sichern. Geistige Eigentumsrechte schützen nicht nur Kreativität und kulturelle Vielfalt, sie sind ein Motor für digitale Geschäftsmodelle und Innovationen.

2. Die Vielfalt der Kulturen wird geachtet.

Das Internet bietet Zugang zu einer grenzenlosen Vielfalt an kulturellen Inhalten. Dieser Zugang erfolgt zu erheblichen Teilen über wenige marktbeherrschende Online-Plattformen (Suchmaschinen, Videoplattformen, soziale Netzwerke). Die Rolle vieler Plattformen hat sich längst gewandelt von der eines technisch neutralen Vermittlers hin zu einem Gatekeeper, der allein über Verfügbarkeit und Verwertung kreativer Inhalte entscheidet. Die Sicherstellung der Auffindbarkeit von Inhalten, der Chancengleichheit bei ihrer Platzierung sowie der Ausgewogenheit zwischen populären Inhalten und kulturellen Nischen ist daher entscheidend, um die kulturelle Vielfalt im digitalen Umfeld zu gewährleisten. Regelungen aus dem Rundfunkbereich können als Vorbild dienen, um vielfaltsichernde Maßnahmen für den Online-Bereich zu entwickeln.

3. Jeder hat das Recht, über seine persönlichen Daten und geistigen Schöpfungen selbst zu bestimmen.

Was der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf den Schutz personenbezogener Daten im Online-Bereich an Rechten etabliert haben, muss umso mehr für den Umgang mit persönlichen geistigen Schöpfungen gelten. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet dem Einzelnen die Souveränität im Umgang mit den auf seine Person bezogenen Daten. Mindestens ebenso wertvoll und schutzwürdig wie persönliche Informationen sind Persönlichkeitsrechte der Urheber an ihren Werken. In der digitalen Welt muss jeder über seine persönlichen Daten und geistigen Schöpfungen selbst bestimmen dürfen.

4. Für vergleichbare Dienste gelten gleiche Regeln.

Im Internet konvergieren die Medienangebote von klassischen Rundfunkunternehmen, Telekommunikationsanbietern und neuen Online-Anbietern. Da die Akteure verschiedene Entwicklungswege gegangen sind, unterliegen sie heute noch unterschiedlichen Regulierungen. Eine konvergente Medienlandschaft braucht aber einen klaren Ordnungsrahmen, der sich an den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft orientiert und gleiche Spielregeln für vergleichbare Dienste schafft. Zu einer konvergenten Medienlandschaft mit einer konvergenten Regulierung bedarf es einer konvergenten Aufsicht. Hier könnten die Landesmedienanstalten zukünftig eine größere Rolle spielen.

5. Online-Plattformen übernehmen Verantwortung.

Wo Online-Plattformen als Gatekeeper des Internets auftreten und immer größere Anteile der Wertschöpfungsketten vereinnahmen, darf es ihnen nicht ermöglicht werden, ihre damit einhergehende Verantwortung auf Dritte abzuwälzen. Die Betreiber solcher Online-Plattformen sollten weder ihre haftungsrechtliche Verantwortung per AGB einzelnen Verbrauchern aufbürden dürfen noch sich auf pauschale Haftungsbefreiungen (Safe Harbour-Regelungen) berufen, um sich Datenschutzbestimmungen oder der Verantwortung zur Klärung von Urheberrechten zu entziehen. Online-Plattformen müssen der Verantwortung gerecht werden, die sich aus ihrer besonderen Stellung ergibt.

6. Alle Akteure der Wertschöpfungskette werden fair an den Einnahmen beteiligt.

Die Digitalisierung stellt keine bloße Innovation der Vertriebswege dar, sondern verändert gesamte Wertschöpfungsketten. Ein immer größerer Anteil an der Wertschöpfung wird durch Plattformbetreiber vereinnahmt, die selbst keinen Beitrag zur Refinanzierung der Güter leisten, von deren Nutzung sie profitieren. Auf europäischer Ebene wird das Phänomen als „Wertetransfer“ oder „Value Gap“ diskutiert. In den USA unter dem Begriff „Value Grab“. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz fordert daher zu Recht, dass sich aus „technischem Fortschritt gleichsam sozialer und kultureller Fortschritt für eine größtmögliche Zahl an Menschen entwickelt“. Insbesondere die Akteure am Anfang der digitalen Wertschöpfungskette müssen in die Lage versetzt werden, ihren Anteil an der Wertschöpfung gegenüber Online-Plattformen geltend zu machen.

7. Niemand darf seine wirtschaftliche Macht im Internet missbrauchen.

In Deutschland und Europa unterliegen Unternehmen – gerade auch im Medienbereich – einer strengen Kartellaufsicht. Wie aber ist mit Unternehmen umzugehen, die bereits weltweit dominierende Online-Services (wie beispielsweise eine Suchmaschine, eine Videoplattform, ein Betriebssystem für Smartphones und einen Online-Werbedienst) vereinen und die entsprechenden Daten miteinander verknüpfen? Das Wettbewerbsrecht muss den Herausforderungen der Digitalisierung angepasst werden. Die internationale Dimension der neuen Online-Plattformen muss dabei ebenso berücksichtigt werden wie die zunehmende Konvergenz ehemals getrennter Märkte.

8. Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen kommen auch im Online-Bereich zur Geltung.

Das grundgesetzlich verbriefte Recht, zur „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“, muss im digitalen Bereich „für jedermann und für alle Berufe gewährleistet“ sein. Organisationen, die die Interessen von Individuen kollektiv gegenüber global agierenden Internetkonzernen vertreten, müssen gestärkt werden. Internationale Kooperationen zwischen solchen Organisationen sollten gefördert werden. Die Betreiber von Online-Plattformen müssen sich zu ihrer Verantwortung als „Tarifpartner“ bekennen.

9. In Europa agierende Online-Plattformen sind für europäische Rechtsvorgaben und Solidarsysteme erreichbar.

Als grenzenloser Raum ermöglicht das Internet den globalen Austausch von Inhalten. Dieser offene und grenzüberschreitende Charakter wird langfristig untergraben, wenn  IT-Konzerne ihn gezielt zur Umgehung von demokratisch festgelegten Spielregeln (Datenschutz, Urheberrechte, Medienregulierung) oder Solidarsystemen (Steuergesetzgebung, Filmförderung) missbrauchen. Aus Sicht des früheren Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio wäre es „noch kein Neoprotektionismus, wenn große Netzintermediäre wie Google gesetzlich verpflichtet würden, ihre Server national oder regional zu konfigurieren und damit für europäische Rechtsvorgaben zugänglich zu machen“.

 

Weiterführende Links

Webseite zur Charta der digitalen Grundrechte

Diskussionsbeitrag der GEMA (als PDF)

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