Warum die Reform des Urheberrechts eine Chance für die Musikbranche ist

Der von der Bundesregierung im Februar vorgelegte Gesetzentwurf zur Modernisierung des Urheberrechts wird aktuell im Bundestag beraten. Die Reform will die großen Online-Plattformen in die Verantwortung nehmen – ein Paradigmenwechsel hin zu mehr Fairness für Kreative im Internet. Darüber hinaus sollen bewährte Instrumente des Urheberrechts für das 21. Jahrhundert aktualisiert und abgesichert werden. Die GEMA sieht die Vorschläge als große Chance für die Musikbranche.

Von Dr. Harald Heker

„Mit der Umsetzung der größten europäischen Urheberrechtsreform der letzten zwanzig Jahre in deutsches Recht machen wir das Urheberrecht fit für das digitale Zeitalter“, so Bundesjustizministerin Christine Lambrecht bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs Anfang Februar in Berlin. Ihre Einschätzung teile ich grundsätzlich, doch dazu muss ich etwas ausholen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist das Ergebnis eines jahrelangen – und zum Teil auch nervenaufreibenden – Diskussionsprozesses, der jetzt endlich auf die Zielgerade geht. Niemand kann das besser nachvollziehen als die Mitglieder der GEMA.

Zweifellos handelt es sich bei der aktuellen Reform, mit der die Vorgaben der 2019 verabschiedeten EU-Urheberrechtsrichtlinie umgesetzt werden, um ein gesetzgeberisches Großprojekt. Es umfasst 174 Seiten (inklusive Begründung) und betrifft gleich drei verschiedene Gesetze: das Urheberrechtsgesetz (UrhG), das Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) sowie das neue Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG). Über dieses Paket beraten derzeit die Abgeordneten des Deutschen Bundestags.

Das Kernstück der Reform sind die neuen Regelungen zur Verantwortlichkeit von Online-Plattformen: Anbieter wie YouTube oder Facebook müssen künftig Lizenzvereinbarungen mit den Rechteinhabern abschließen, wenn deren Werke auf ihrer Plattform genutzt werden. In dieser Hinsicht schafft die Reform einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Fairness im Internet. Denn bis vor Kurzem haben einige der weltweit größten Online-Plattformen schlichtweg abgestritten, überhaupt für die Wahrung der Urheberrechte verantwortlich zu sein. Die neue Lizenzierungspflicht wird dafür sorgen, dass die Kreativen für die Nutzung ihrer Werke von den Plattformen eine Vergütung erhalten – ohne wenn und aber. Zugleich wird sie die Verhandlungsposition aller Rechteinhaber gegenüber den großen Plattformen erheblich stärken.

Ohne diese wichtige Neuregelung, für die sich Urheberinnen und Urheber, Verlage, Major Labels, Indies, die GEMA und viele andere Akteure seit Jahren gemeinsam eingesetzt haben, wird unsere Musikbranche im Online-Bereich keinen festen Boden unter die Füße bekommen. Sie ist die Grundlage, um das Potenzial der Digitalisierung für die Musikschaffenden voll auszuschöpfen. Dieses Ziel behalten wir bei der Bewertung der Reform im Blick. Deshalb sehen wir den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie als große Chance für die Musikbranche.

Neben den zukunftsweisenden Regelungen zur Providerhaftung schlägt die Reform Aktualisierungen in vielen anderen Regelungsbereichen vor. Der Entwurf setzt wesentlich auf bewährte Instrumente, die im deutschen Urheberrecht seit Langem bekannt und etabliert sind. So soll den Urhebern als Ausgleich für bestimmte gesetzlich erlaubte Schrankennutzungen auf Online-Plattformen (wie Zitate, Karikaturen, Parodien oder „Pastiches“), die zum Teil schon nach geltender Rechtslage möglich sind, künftig ein Vergütungsanspruch zustehen. Darüber hinaus sieht der Entwurf Anpassungen im Urhebervertragsrecht vor und stellt die Beteiligung von Verlegern auf eine neue rechtliche Grundlage. Insgesamt stärkt der Entwurf die kollektive Rechtewahrnehmung von Urhebern und Verlegern in gemeinsamen Verwertungsgesellschaften, deren Fortbestand in Folge der EuGH-Entscheidung in Sachen „Reprobel“ durchaus in Frage gestellt worden war. Das alles ist keineswegs selbstverständlich. Um die Dimension der jetzt diskutierten Vorschläge zu ermessen, sollten wir uns nochmals den schwierigen Kontext der Urheberrechtsdiskussion der jüngeren Vergangenheit vergegenwärtigen.

Es ist noch keine zehn Jahre her, da blies den Urheberinnen und Urhebern ein eisiger Wind ins Gesicht. Die aufstrebenden Plattformen aus dem Silicon Valley wurden von vielen – damals zumeist noch völlig unkritisch – als großes Zukunftsversprechen betrachtet. Die Rechte von Urhebern galten als Hindernis für die Digitalisierung und Verwertungsgesellschaften als ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert. Das Urheberrecht sei nicht mehr zeitgemäß, es müsse abgeschafft oder zumindest komplett neu gedacht werden, hieß es. Historische Errungenschaften der Kreativschaffenden wurden kurzerhand zur Disposition gestellt. In politischer Hinsicht war die Zeit geprägt durch den Aufstieg der Piratenpartei.

Für die GEMA begann damals auch die langwierige Auseinandersetzung mit YouTube. Mit dem Hinweis darauf, man sei nur ein „neutraler“ Plattformbetreiber, weigerte sich das Unternehmen, die Urheber für die Nutzung ihrer Werke zu vergüten. Stattdessen sperrte die Google-Tochter willkürlich Musikvideos, lenkte mit irreführenden Sperrtafeln den Unmut der User auf die GEMA. In der Folge sahen sich die GEMA und ihre Mitglieder völlig grundlos heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Ich erinnere mich lebhaft daran, wie Sven Regener 2012 in einem Radio-Interview der Kragen platzte: „Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert“. Seine klaren Worte stehen sinnbildlich für das Engagement, aber auch die Leidensfähigkeit der Kunst- und Kulturschaffenden in dieser Zeit. In den Medien wurde das Interview später als „Wut-Rede“ bezeichnet. Im Rückblick führt es noch einmal eindrücklich die beklemmende Situation vor Augen, aus der heraus es entstanden ist. Das alles liegt keine zehn Jahre zurück!

Die Rückendeckung unserer Mitglieder hat uns als GEMA die Kraft gegeben, gegenüber YouTube standhaft zu bleiben und diesen in der Sache wichtigen Grundsatzstreit über Lizenzschuldnerschaft und Vergütungshöhe erfolgreich durchzustehen. Die von der GEMA gegen YouTube erstrittenen Urteile legten die rechtlichen Hintergründe der Problematik offen: Die haftungsrechtliche Privilegierung von Host Providern. Wir haben die Thematik in internationale Verbände getragen und Mitstreiter um uns gesammelt. Wir konnten empirisch belegen, dass der europäischen Kultur- und Kreativwirtschaft ein massiver Schaden durch die äußerst lückenhafte Regulierung der Internetkonzerne entsteht. Im Dialog mit Politik und Medien gelang es uns, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. In unzähligen Gesprächen in Brüssel und Berlin haben wir auf den Reformbedarf hingewiesen, bevor der damalige EU-Digitalkommissar Günther Oettinger im September 2016 schließlich seinen richtungsweisenden Vorschlag für eine neue EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt vorlegte.

Die Auseinandersetzung zwischen dem Weltkonzern YouTube und einer vergleichsweise kleinen Verwertungsgesellschaft aus Deutschland fand plötzlich international Beachtung. Sie gab den Anstoß für eine Debatte, die unter dem Stichwort „Value Gap“ in Europa begann und mittlerweile weltweit geführt wird: Kreative müssen fair an der Wertschöpfung beteiligt werden, die mithilfe ihrer Leistungen auf Online-Plattformen generiert wird. Wir können heute selbstbewusst feststellen: Ohne die Hartnäckigkeit der GEMA und ohne das Engagement und die Ausdauer unserer Mitglieder würde es die EU-Richtlinie in ihrer jetzigen Form nicht geben.

Dieser neue europäische Rechtsrahmen wurde im Frühjahr 2019 verabschiedet. Die vorangehende Diskussion verlief extrem polarisiert, häufig verzerrt und gegen Ende hin vielfach auch jenseits der Sachebene. Aus Sicht der GEMA ging es immer darum, faire Lizenzvereinbarungen mit den Plattformen zu erreichen. Diese ermöglichen es wiederum den individuellen Uploadern, Musikwerke legal und ohne weitere Lizenzierung auf die Plattformen hochzuladen. Aber eben mit einer angemessenen Vergütung der Urheber, die von der Plattform zu leisten ist. Kurzum: Es ging und geht uns keineswegs, wie immer wieder unterstellt, um die Sperrung von Inhalten, sondern im Gegenteil um deren Zugänglichmachung unter fairen Bedingungen. Dieser Grundidee folgt auch der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung.

Bei einem so umfassenden Vorhaben wie der aktuellen Reform, das die Interessen zahlreicher Akteure berührt, können unterschiedliche Sichtweisen und Kritikpunkte nicht ausbleiben. Es ist nachvollziehbar, dass einzelne Unternehmen und Verbände bei der Bewertung der Vorschläge andere Schwerpunkte setzen als die Musikurheberinnen und -urheber. Die GEMA macht sich seit Monaten für konkrete Nachbesserungen bei einzelnen Regelungspunkten stark, etwa bei den Schrankenregelungen, die in ihrer ursprünglich vorgeschlagenen Form schlichtweg inakzeptabel waren. Hier konnten wir im Vergleich zu ersten Entwürfen bereits deutliche Verbesserungen erreichen, auch wenn diese unserer Auffassung nach noch nicht weit genug gehen. Oder bei den Regelungen zur Verlegerbeteiligung, wo wir uns für administrative Vereinfachungen einsetzen, die der speziellen Situation im Musikbereich Rechnung tragen.

Unsere Branche ist in ihrer Vielfalt ein komplexes und oft kleinteiliges System. Wenn an einer rechtlichen Stellschraube gedreht wird, kann dies möglicherweise unbeabsichtigte Folgen an anderer Stelle nach sich ziehen. Hierzu haben wir wertvolle Hinweise von unseren Mitgliedern erhalten und stehen in engem Austausch mit anderen Akteuren der Kultur- und Kreativwirtschaft. Wir setzen alles daran, dass unbeabsichtigte Folgen der geplanten Neuregelungen frühzeitig erkannt und soweit wie möglich vermieden werden. Nur so kann es gelingen, unsere Branche auf eine nachhaltige und dauerhaft tragfähige Grundlage zu stellen. Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es hineingekommen ist. In diesem Sinne werden wir uns bis zuletzt für weitere Nachjustierungen einsetzen.

Jedoch wird kein Gesetz alle Herausforderungen in diesem komplexen Umfeld auf einmal lösen können. Bei der Bewertung der geplanten Reform sollten wir daher immer den größeren Kontext im Blick behalten. Als Musikbranche schauen wir zurück auf ein Jahrzehnt, das zumindest in seinen Anfangsjahren geprägt war durch fehlende Wertschätzung für kreative Leistungen und massive Angriffe auf die Rechte von Urhebern. Aus dieser Perspektive kann kein Zweifel daran bestehen, dass der jetzt vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung insgesamt eine große Chance darstellt. Ein zeitgemäßer Rechtsrahmen zur Verantwortlichkeit von Online-Plattformen, ohne den unsere Branche im digitalen Zeitalter auf keinen grünen Zweig kommen wird, liegt in greifbarer Nähe. Es besteht darüber hinaus die Chance, bewährte Instrumente des Urheberrechts, die noch vor Kurzem massiv in Frage gestellt wurden, für das 21. Jahrhundert zu aktualisieren und abzusichern. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist Ergebnis jahrelanger Arbeit, die wir in der Musikbranche gemeinsam geleistet haben. Lassen Sie uns diese Chance gemeinsam nutzen.

Der Artikel des Vorstandsvorsitzenden und weitere Beiträge rund um die Reform des Urheberrechts sind in der GEMA-Mitgliederzeitschrift virtuos nachzulesen.

Foto: Florian Jaenicke

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